Juni, gutes Wetter, kurze Wege, kulturelle Vielfalt statt gebuchter Einheitsbrei, Liebe zum Detail statt kommerzialisierte Verpflichtungen, sauberes Porzellan statt unerträgliche Dixis – spätestens jetzt sollte während eines Tabu- oder Activity-Abends klar sein, worum es geht.

Endlich wieder Maifeld Derby in gewohnter Atmosphäre! Mit zwei Jahren angesammelter Sehnsucht im Gepäck ging es Richtung Mannheim. Aus der S-Bahn steigend, thronten in der Ferne schon die Spitzen des Palastzeltes hoch über dem Horizont. Der routinierte Lebenstrott kann also für die nächsten Tage pausiert und aktuelle Alltagsprobleme hintangestellt werden. Dank des Jahr für Jahr vorzüglich kuratierten Line-ups um das Team von Timo Kumpf und der tollen Atmosphäre auf dem Maimarktgelände ist dies ohne weiteres Zutun möglich, wenn nicht sogar unvermeidbar. Zahlreiche neue kulinarische Leckereien und Getränke sorgten für Leib und Wohl der Besucher*innen. Frei zugängliche Wasserspender und schattige Plätzchen boten eine Auszeit von der brutzelnden Mittagssonne.

Der Auftakt begann für mich an der Open-Air-Bühne mit Helado Negro. Die Erwartungshaltung war hoch. Nach gemächlichem Beginn schwang er seine Latino-Hüfte aber unbeschwert durch die heiße Mittagssonne und hatte keine Probleme mehr, das lauschende Publikum auf seine elektronisch unterlegte Latin-Folk-Reise mitzunehmen. Danach rief auch schon ein kleines Herzstück des Festivals, das immer wieder für die ein oder andere Überraschung gut ist: der Parcours d’amour – die etwas andere Festival-Bühne. Arooj Aftab zog mit ihrem meist indoarischen Gesang und ihrer kleinen Jazz-Formation aus Kontrabassist und Harfenistin alle Zuhörenden in ihren Bann. Das gewisse Extra kam von der Harfinistin: Beendete Maeve Gilchrist ein atemberaubendes Solo, setzte sie das nächste obendrauf. Aus dem Staunen kam man bei diesem Auftritt jedenfalls nicht heraus.

Nach dem unverzichtbaren ersten Handbrot des Festivals ging es dann auch schon ins Palastzelt zum ersten elektronischeren Act: Caribou. Anstatt Solo ein paar Potties zu bedienen (wie bei manch anderen elektronischen Live-Acts auf Festivals) standen sie zu viert auf der Bühne und bedienten jedes mitgebrachte Instrument. Selbst nach der Flöte griff Dan Snaith mehrmals – so macht elektronische Live-Musik Laune. An Dynamik und Bewegungsdrang hat es definitiv nicht gefehlt! Zu meinem großen Bedauern habe ich es zum letzten Konzert des ersten Tages und einem meiner angekündigten Highlights nicht geschafft – Whispering Sons. Diejenigen, die bis tief in die Nacht durchgehalten haben, berichteten Großes aus dem kleinen Hüttenzelt.


Stella Donnely | Parcours d’amour @ Maifeld Derby
Horsegirl | Palastzelt @ Maifeld Derby
Caribou | Palastzelt @ Maifeld Derby
Rikas | Open Air @ Maifeld Derby
Jonathan Bree | Parcours d’amour @ Maifeld Derby
King Gizzard & The Lizard Wizard | Palastzelt @ Maifeld Derby
Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys | Open Air @ Maifeld Derby
11. Maifeld Derby
Rolling Blackouts Coastal Fever | Open Air @ Maifeld Derby
Eve Owen | Parcours d’amour @ Maifeld Derby
Kings Of Convenience | Palastzelt @ Maifeld Derby
Tirzah | Parcours d’amour @ Maifeld Derby
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Wie seitens des Derbys schon angekündigt, wird das Festival von kurzfristigen Zeitplanänderungen nicht verschont. Schlimmer noch, Faye Webster musste kurzfristig zwei Tage vor dem Derby absagen. Nach Mac DeMarco ein weiteres Highlight, das für mich ins Wasser fällt. Aber kein Grund zur Sorge, wir sind zu Gast beim Maifeld Derby: Es gibt genug anderes, nicht weniger gutes sowie interessantes zu sehen und zu hören. Die Atmosphäre und das Angebot für Leib, Seele und Musikherz ist einfach zu gut, um einer Absage länger als ein paar Minuten nachzutrauern. Schlussendlich begann ich den Samstag mit Rikas, dem Quartett aus Stuttgart. Für mich vorher nicht existent, nach erstem Einhören standen sie als eingängiger Mittags-Indie-Pop jedoch auf meiner Liste. Und was war das bitte? Nach zehn Minuten Live-Auftritt standen die deutschen Parcels auf der Bühne! Ob Falsett-Gesang zu viert oder abwechselndes lead singing in verschiedenen Songs. Der Gedanke an die Parcels lies mich nicht los, völlig unerwartet. Auf der Platte ist die Ähnlichkeit viel dezenter – live war er für mich aber auf jeden Fall mehr als nur ein mal zu spüren. Fazit: Rikas machen live viel Spaß und heizen den vom Vortag müden Gemütern gut ein!

Nach einem kurzen Abstecher zu Black Midi, die ihren verrückten und experimentellen Noise-Rock durch alle Ecken des Palastzelts jagten, ging es wieder nach draußen zu DIIV – noch nie live gesehen, umso größer war die Spannung. Eröffnet mit dem melodischen Under the Sun stellten sich beim Einsatz des Bassisten die ersten Härchen als Vorankündigung der Gänsehaut auf, bis sie dann spätestens bei den ersten E-Gitarren-Pickings voll ausgebildet war. Shoegaze und verzerrte Gitarren-Riffs aus New York vom Feinsten. Danach ging es wieder in den Parcours d’amour zum Neuseeländer Jonathan Bree. Ich wollte mir selbst ein Bild der in Masken gehüllten Truppe machen. Viel Show und Tanz, jedoch eine romantisch-schaurige Stimme mit abendlichem Parcours d’amour-Feeling. Sampa The Great spielte parallel und lieferte mit Sicherheit ein spektakuläres Konzert ab. Das Konzert von Jonathan Bree und seinen begleitenden Musikern mit Tänzerinnen hat sich aber trotzdem gelohnt!

Die Headliner King Gizzard & The Lizard Wizard vollbrachten dann ihr ganz eigenes Spektakel im Palastzelt und schrammelten gleich eineinhalb Stunden auf die Massen ein. Die von der deutschen Musikpresse hochgelobte Band Team Scheisse habe ich mir dann am Rand des Hüttenzelts zu Gemüte geführt. Das Konzert schlug ein wie eine Bombe – Deutsch-Punk-Fans sind voll auf ihre Kosten gekommen. Wer danach zufällig bei Mezerg reingeplatzt ist, hat vermutlich seinen Augen (und Ohren) nicht getraut. Mit gefühlt unzähligen Armen und Beinen sowie absolut unmenschlichem Koordinationstalent bringt er als One-Man-Show die Menge zum Tanzen.


Wie immer schwebte am letzten Tag die unterbewusste und nicht greifbare Aufbruchstimmung leicht mit, die jedoch so gut es geht verdrängt wurde. Nach einer Autopanne spielten Roy Bianco & Die Abbrunzati Boys mit ihrem selbstironischen deutsch-italienischen Schlager groß auf – begonnen mit zwei Opernsängern, den Mittelteil geschmückt mit humorvollen Ansagen und beendet mit gut gelaunter Polonaise des Publikums. Schnellen Fußes ins Palastzelt gewechselt, wo die Kenner*innen schon die jungen Musikerinnen der Band Horsegirl erwarteten. Am vorangegangenen Freitag erschien erst ihr Debüt-Album und sie spielten am Tag zuvor ihr erstes Konzert in Europa. Das unscheinbar und noch schüchtern wirkende Trio ließ keinen Post-Punk- und Shoegaze-Verrückten hungern. Ja, sie sind die heimlichen Siegerinnen der Steckenpferddressur!

Entscheidungsschwierigkeiten geschuldet, begann ich mit dem souveränen Open-Air von Rolling Blackouts Coastal Fever und wechselte zur Hälfte in Richtung Eve Owen, die mit ihrer zarten Engelsstimme und Publikumszugewandtheit den Parcours d’amour in einen anderen Ort verwandelte, der seinesgleichen suchte. Die Australierin Stella Donnelly holte etwas später am Abend dann nochmal die Reserven aus dem Parcours d’amour. Einen Sonnenschein mit derart sympathischem Auftreten erlebt man nicht alle Tage auf der Bühne. Sie verzauberte das Publikum bis hinter beide Ohren und durfte trotz Festival-Taktung eine Zugabe spielen, um uns dann in Richtung Abschlusskonzert des diesjährigen Derbys zu entlassen. Als Headliner standen dann nämlich die beiden Norweger im Palastzelt auf der Bühne – lediglich mit Akustikgitarre und ihrem Gesang. Auf vielen anderen Festivals wäre dies undenkbar. Maifeld Derby pur. Kings of Convenience hatten das Publikum im Griff, noch mehr ihre musikalischen Fähigkeiten. Zur Unterstützung kamen dann noch Violinist, Bassist und Drummer auf die Bühne und gaben zu I’d Rather Dance With You alles, sodass das 11. Derby ein bravuröses Ende fand.

Es war aufs Neue magisch und wir dürfen alle glücklich darüber sein, dass es nun endlich wieder losgeht und das Maifeld Derby weiterlebt.

Wie ein Song von Caribou zu sagen pflegt: I can’t do without you Maifeld Derby! Auf hoffentlich viele weitere Jahre!